Colonia Carlos Pellegrini in den Iberá Sümpfen und das Gefängnis für kriminelle Tiere
Colonia Carlos Pellegrini ist ein verschlafenes Nest im Nordosten Argentiniens, umgeben von den Iberá Sümpfen. Wer per Zufall zur Siesta Zeit oder an einem Sonntag ankommt, dem muss es vorkommen wie ein Geisterdorf da man auf den sandigen Pisten keine Menschenseele antrifft. Besuchern die nachts ankommen, ist es schon passiert, dass sie am Dorf vorbei gefahren sind, da die spärlich gestreuten Strassenlaternen zur Hälfte nicht funktionieren und sowieso nur ganz schwach schummern.
Viele Vierbeiner auf der Straße
Auf den zweiten Blick und bei längerem Aufenthalt (was sich unumstritten lohnt – befindet sich doch das Dorf inmitten des Naturschutzgebietes) entdeckt das Besucherauge jedoch ein geschäftiges Tun und Treiben. Und zwar nicht nur von den zweibeinigen Einwohnern der Kolonie, sondern insbesondere auch von den Vierbeinern. Auf 600 menschliche Einwohner kommen im Dorf mindestens doppelt so viele Pferde, ebenso viele Hunde, etwa halb so viele Kühe und einen Esel. Das ist an und für sich noch keine Seltenheit in diesem Land; aber hier in Pellegrini laufen, rennen, grasen, galoppieren und bocken diese Tiere alle frei im Dorf herum.
Der bekannteste von allen ist der Esel, benannt Toki – das bedeutet „Häuptling“ in der Sprache der Argentinischen Ureinwohner. Er gehört zur Irupé Lodge, einer exklusiven Ökolodge am Ufer des Iberá Sees. Wenn ihn die Gäste der Lodge nicht grad mit Keksen und Früchten füttern, dann nimmt er sein Schicksal selbst unter die Hufe und klappert die Kolonie ab. Angetrieben von seiner Lebensphilosophie, die ungefähr wie folgt zusammengefasst werden kann: Futter, Flausen, Freunde (Reihefolge massgeblich).
Toki – Segen und Fluch in Colonia Carlos Pellegrini
Zu seinen Hauptaktivitäten gehört das Durchsuchen aller Kioskabfalleimer (wer schon mal in Argentinien war, weiss dass es auf ca. 10 Häuser einen Kiosk gibt). Wenn er nicht fündig wird, dann bedient er sich auch sehr gerne direkt ab den Regalen – dazu macht er ganz selbständig die Türen auf. Gut besetzte Terrassen von Restaurants ziehen ihn ebenfalls magisch an, meist gibt es da ja etwas zu erhaschen: Entweder von den Touristen (jöh ist der süss!) oder von den verzweifelten Restaurant Besitzern (hau ab du blödes Vieh!). Wenn es nirgendwo etwas zu knabbern gibt oder wenn sein Magen voll ist, dann stellt er gerne Unfug an. Sein Favorit ist der Besuch bei den Konkurrenz Hotels der Lodge wo er in die Waschküchen einbricht und sich mit der weissen Bettwäsche vergnügt. Er zerrt die im Wind trocknenden weissen Fahnen gnadenlos runter und wälzt sich genüsslich drauf rum, was ihm wohl wie ein Parfümbad vorkommen muss. Wenn des Guten noch nicht genug, dann galoppiert er mit seinen Pferde- und Ponyfreunden bis zur Plaza San Martin (das Heiligtum jedes Argentinischen Dorfzentrums), wo sie gemeinsam Löcher in den englischen Rasen mampfen und ihre Haufen setzen.
Wäre Toki nicht ein clownartiges Unikum und die Einwohner nicht extrem tierfreundlich gesinnt, dann wäre er wohl schon lange bei Nacht und Nebel verschwunden. So behilft sich aber die Dorfbevölkerung von Pellegrini einer anderen Methode: Der Polizei. Die Hüter des Gesetzes werden regelmässig von einem erzürnten Pellegrinero vom Mate trinken weg auf den Tatort bestellt. Dort fangen sie heldenhaft den Täter ein (nicht ganz einfach), führen ihn dann auf die Polizei ab (schon eher schwierig) und sperren ihn dort auf der Gefängnisweide ein (fast ein Ding der Unmöglichkeit). Da fristet er dann ein paar Stunden Gefangenen Dasein zusammen mit anderen Plaza-San-Martin-Vandalen (Pferde oder Kühe) bis seine Besitzer die Rechnung der zerstörten Objekte beglichen haben und ihn gegen ein Kopfgeld von 10 Pesos wieder raus lösen. Geschieht das nicht am gleichen Tag, dann steht den Policias eine schlaflose Nacht bevor, denn Toki ist ein Ausbrecherkönig sondergleichen und hat ein besonderes Flair morgens um 5 Uhr sein herzzerreissendes I-aah anzustimmen.
Heimliche Beobachter behaupten, er strecke den Polizisten beim Verlassen der Gefängnisweide die Zunge raus. In Colonia Carlos Pellegrini ist man der Meinung, dass der langohrige Vandale zum Dorfbild gehöre. Seine Besitzer begleichen auch heute noch geduldig die Rechnungen seiner Untaten. Bis anhin sind alle Erziehungsversuche an Toki gescheitert. Zum Glück sind die vierbeinigen Einwohner Pellegrinis den zweibeinigen in der Zahl überlegen.